von Thomas Yip
Heute möchte ich über den Perfektionismus schreiben, oder besser gesagt den Wunsch vieler Menschen, eine komplett fehlerlose musikalische Vorführung anzustreben bzw. hören zu wollen.
Technologie ist etwas Großartiges. Seit dem Beginn der Tonaufnahme im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hat sich die Art, wie Menschen Musik wahrnehmen, für immer verändert. Angefangen von Vinylplatten über CDs bis hin zur Spotify-Playlist, kann Musik wiederholt, gelooped und auf Knopfdruck angehört werden. Wir brauchen die professionellen Musiker, die unsere Musik spielen, nicht mehr physisch vor Ort, sondern konsumieren Massen an Musik – alle natürlich völlig fehlerfrei. Und für die meisten Menschen heute ist das, wie wir die Musik hauptsächlich erleben.
Für Amateure, Studenten und Enthusiasten ist diese Idee der musikalischen Perfektion etwas, was sich auch auf ihr Spiel überträgt, wenn sie ein Instrument lernen: Wie kann er so schnell spielen? Warum schaffe ich es nicht so perfekt?
Während diese analytische Herangehensweise natürlich positive Antworten für den Lernenden bringen können, so sind diese Fragen in den meisten Fällen eher kontraproduktiv und tragen wenig dazu bei, das Selbstvertrauen zu stärken.
Keine Aufnahme ist an sich „perfekt“. Ein Team von Technikern und Tonmeistern hilft dabei, den "perfekten" Sound durch Bearbeitung, Auto-Tuning und Wiederholen zu kreieren. Auch wenn es für ein Publikum vielleicht bereits perfekt klingen würde, so könnte der Schaffende es ganz anders wahrnehmen. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Idee, dass ein Film ein Abbild schafft, wie Menschen aussehen, aber nicht alle Menschen sehen so aus wie im Film, und das ist auch gut so.
Es ist in Ordnung, nicht „perfekt zu sein“, und dies gilt besonders für eine Live-Aufführung. Jeder erfahrene Musiker weiß, dass Fehler, Verspieler oder andere Pannen in Konzerten gang und gäbe sind, und viele berühmte Pianisten haben schon desaströse Konzerte gehabt. Ich sage das nicht, um respektlos gegenüber großartigen Musikern zu sein, aber manchmal ist es wichtig „echte Musik“ von den Aufnahmen und einer imaginären Form von Perfektion, die im Grunde genommen sehr künstlich ist, zu unterscheiden.
Das heißt aber noch lange nicht, dass man sagen sollte: „Wenn keiner perfekt ist, warum soll ich mir dann die Mühe machen?“
Es sollte uns nicht davon abhalten, daran zu arbeiten immer besser zu werden und unsere Grenzen anzustreben. Hinter jedem guten Konzert steckt ein gut ausgeklügeltes und strukturiertes System des Übens. Und hinter jenem Üben steckt viel Motivation und Engagement. Die Musik kommt aus dem Inneren, und wird mit anderen geteilt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir das ein bisschen vergessen, wenn wir uns mit dieser „Perfektion“ vergleichen.
Meine Hoffnung ist, dass alle meine Schüler lernen, die Musik und das Klavierspiel zu lieben und wertzuschätzen.
Sein eigenes Potential zu erreichen ist die einzige Perfektion, die es sich lohnt anzustreben, denn dies bringt wahre Freude!